Donnerstag, 5. Juli 2012

Vegas

Skandal!

Ein alea-Spiel mit einem Wert auf der alea-Anspruchsskala von: 1! Eins! EINS!!! Das gabs erst ein einziges Mal, im Jahr 2001 mit Royal Turf, aber das war damals doch eher eine Jugendsünde von alea-Produktmanager Stefan Brück! Dachten wir zumindest, doch auf der Spielemesse in Nürnberg anfang Februar 2012 hat Brück es wieder getan und schmeißt uns Vegas hin. Mit einer EINS!!! Und Saint Malo (das noch nicht erschienen ist) mit einer 2 macht die Sache jetzt auch nicht wirklich besser... Das kann den alea-Jüngern, die auf ihren jährlichen Strategie-Fix angewiesen sind, natürlich ganz und gar nicht gefallen. Wie, kein neues Feld-Spiel bei alea dieses Jahr? Sofort wird auf Boardgamegeek rumgemault. Mit alea geht's bergab, Endzeitstimmung! Kaufen werden die alea-Jünger Vegas natürlich trotzdem (sonst wär da ja eine Lücke in der sonst perfekten alea-Sammlung), aber man kauft nur sehr widerwillig. Empörung!

Hat Skandalnudel Brück sich hier also verzockt? Mal sehen...

Vegas von Rüdiger Dorn ist - passend zum Thema - eine flotte, taktische Würfelzockerei um zigtausende von Dollars, wobei es - nicht passend zum Thema - niemanden gibt, der wegen der Zockerei bankrott geht. Arm wird hier keiner (außer dem Brück, wenn ihm seine Jünger weglaufen, jawohl!). Stattdessen gewinnen manche Spieler einfach etwas mehr als andere. Nun gut.

Spieltechnisch funktioniert der Spaß wie folgt:

Über vier Runden nehmen die 2-5 Spieler Kasinos in Vegas aus. Davon gibt es 6 Stück in Form von kleinen Papp-Tableaus, und jedem dieser Kasinos ist eine Würfelzahl von 1-6 zugeordnet. Zu Beginn jeder Runde werden die Kasinos mit Geldkarten bestückt, von denen gibt es einen dicken verdeckt gemischten Stapel mit Werten von 10.000 bis 90.000 Dollar. An jedes Kasino werden offen Geldkarten gelegt, bis dort 50.000 Dollar oder mehr liegen. Nach dieser Vorbereitung liegen also an jedem Kasino ein oder mehrere Geldkarten, immer mit einem Gesamtwert von mindestens 50.000 Dollar, gerne aber auch mal über 100.000 Dollar.

Die Spieler erhalten jeweils  8 Würfel ihrer Farbe, es wird ein Startspieler bestimmt, und dann kanns auch schon losgehen. Wer am Zug ist, wirft ALLE seine Würfel und muss sich dann für eine gewürfelte Augenzahl entscheiden, um im Anschluss ALLE seine Würfel, die die entsprechende Augenzahl zeigen, auf das entsprechende Kasino zu legen. Das ganze wird reihum solange wiederholt, bis alle Würfel verteilt sind, und schon endet die Runde und es kommt zur Gewinnausschüttung. Bei dieser wird dann für jedes Kasino überprüft, wer dort die Mehrheit an Würfeln besitzt. Der glückliche Erste erhält die wertvollste Geldkarte des Kasinos, der Zweite die zweitwertvollste (sofern es eine solche gibt) und so weiter. Richtig fies ist dabei der Umgang mit Gleichständen. Wer nämlich denkt, dass in einem solchen Fall auf irgendeine andere Art und Weise entschieden wird, wer von den Gleichplatzierten die wertvollere Geldkarte bekommt, der liegt leider total daneben. Stattdessen gehen bei Gleichständen alle an dem Gleichstand beteiligten Spieler in dem betreffenden Kasino komplett leer aus, und es gibt eventuell einen lachenden Dritten. Liegt in einem Kasino beispielsweise ein einzelner 90.000er und rot und blau haben dort jeweils 4 Würfel und grün nur einen einzigen, so bekommt grün den wertvollen Schein. Für rot und blau ist das gleich doppelt ärgerlich, denn beiden ist nicht nur ein dicker Gewinn durch die Lappen gegangen, sondern sie haben natürlich - da jeder insgesamt nur 8 Würfel hatte - in den anderen Kasinos entsprechend geringere Chancen. Die Gewinnausschüttung wird für jedes Kasino einzeln durchgeführt, danach werden die Kasinos neu bestückt, und es geht von vorne los. Wer nach vier Runden den größten Gewinn einsacken konnte, kann sich als Sieger feiern lassen.

Nicht unerwähnt bleiben soll eine sehr interessante Variante, die in der Regel für 2-4 Spieler vorgeschlagen wird und deren Anwendung ich wirklich nur empfehlen kann. Hierbei werden die Würfel einer nicht gebrauchten Spielerfarbe gleichmäßig unter den Spielern verteilt. Diese neutralen Würfel werden nun immer mitgewürfelt und müssen dann auch bei der Wahl der entsprechenden Augenzahl mit in die Kasinos gelegt werden. Hierdurch entsteht eine herrliche Möglichkeit, dem Gegner in dessen angestrebten Kasinos Druck zu machen oder gar einen Gleichstand zu eigenen Gunsten zu erzeugen.


Ende einer (für dieses Foto gestellten) Runde zu dritt

Vegas bietet den Spielern mehr taktische Entscheidungsmöglichkeiten, als man anfangs denkt. Das richtige Timing ist wichtig, und stets gilt es abzuwägen, wo sich ein Würfeleinsatz noch lohnen könnte. Trotzdem ist und bleibt Vegas im Wesentlichen ein Würfelspiel, und wie das in Würfelspielen nun mal so ist, kann einem Fortuna gehörig einen Strich durch die Rechnung machen. Dies gilt insbesondere zum Rundenende, wenn man nur noch über wenige Würfel verfügt, da es dann durchaus passieren kann, dass man zu Würfelplatzierungen gezwungen ist, mit denen man vor allem sich selber schadet.

Vegas kann in dieser Hinsicht grausam und ungerecht erscheinen, aber wenn alle Spieler mit der richtigen Einstellung an das Spiel herangehen, dann kann es auch unglaublich spannende und emotionsgeladene Momente erzeugen, grade dann, wenn ein einzelner Wurf über Alles oder Nichts entscheidet. Mich selber hält es bei Vegas dann auch tatsächlich selten auf meinem Stuhl, ich muss immer sofort genau sehen, was meine Mitspieler gewürfelt haben, es wird geflucht, gejubelt, geprahlt und manipuliert. "Nein! Nicht die 3er, was soll das, damit schadest du uns beiden! Nimm die 1er, sonst zieht grün in dem Kasino davon! Was machst du!?! Arghhh #+?!§'*!". Das Spiel veranlasst - zumindest mich und meine bisherigen Mitspieler - unweigerlich zum "Trashtalk". Ich werde vermutlich zur Hölle fahren wegen der Dinge, die ich bei einer Partie mit meinem alten Schulfreund Serafim über dessen Familie gesagt habe (aber er hat angefangen!). Naja, solange soetwas keiner in den falschen Hals kriegt, können grobe Ehrverletzungen ja auch mal ganz lustig sein.

Das Spiel funktioniert meiner Meinung nach in lockerer Runde zu dritt oder viert am besten (zu zweit kann man sich nicht so schön gegenseitig beeinflussen und zu fünft gibts keine neutralen Würfel).

Der Jury "Spiel des Jahres" scheint das Spiel übrigens auch ganz gut zu gefallen, denn sie hat Vegas dieses Jahr zusammen mit Kingdom Builder und Eselsbrücke auf ihre Nominierungsliste gesetzt. Das fand ich dann doch wieder etwas überraschend. Vegas ist gut, aber meiner Meinung nach für ein Spiel des Jahres fast etwas zu gemein (von der Glückspielverherrlichung mal ganz abgesehen, höhöm). Der Preis "Spiel des Jahres" richtet sich ja vor allem an Familien, und wenn ich eines sicher weiß, dann dass ich als Kind bei dem Spiel regelmäßig vor lauter Frust in Tränen ausgebrochen wäre. Naja, auf die Wahl habe ich keinen Einfluss, also abwarten und Tee trinken.

Und Skandalnudel Brück? Der lacht sich ins Fäutschen. Verzockt hat Herr Brück sich mit Vegas schon mal alleine wegen der Spiel-des-Jahres-Nominierung nicht. Ich wär aber trotzdem nicht bös, wenn Herr Brück sich in Zukunft wieder an den eigenen Wahlspruch, nämlich "Spiele mit besonders hohem strategischem Anspruch" (Zitat von der Website) zu veröffentlichen, erinnern würde. Denn "hoher strategischer Anspruch" passt auf Vegas nunmal leider überhaupt nicht.

Gut, wenn Herr Brück alle Jubeljahre ein "casual game" wie Vegas raushauen muss, um mit den Spiel-des-Jahres-Einnahmen weitere zehn Jahre Strategiespiele der Extra-Klasse zu finanzieren, dann soll es mir Recht sein. Und für alea-Jünger gibt es mittlerweile auch wieder Licht am Horizont, denn mit "Bora Bora" wurde zwischenzeitlich das erste Spiel von alea für 2013 angekündigt. Autor: Stefan Feld. Das wird dann wohl keine 1 auf der Anspruchsskala.

Trotzdem: Herr Brück, Sie stehen unter Beobachtung!

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