Mittwoch, 22. Juni 2016

Die unüblichen Verdächtigen



„Sie haben den Raubüberfall also beobachtet. Können Sie den Täter beschreiben?“
„Ja, also es war eine etwa 40-Jährige Frau, ca. 1,65 m groß mit kurzen blonden Haaren und sie trug…“
„Halt! Was reden Sie denn da für wirres Zeug? Mit solchen Informationen können wir nichts anfangen.“
„Äh… aber… was wollen Sie denn dann wissen?“
„Na, das übliche halt: Hat der Täter Flugangst? Und eine Schallplattensammlung? Und was meinen Sie: Schaut er gerne Dokumentarfilme?“


Solch verrückten Fragen muss sich ein Spieler in der Rolle des Zeugen stellen. Nur er weiß, welches der zwölf ausliegenden Verdächtigen-Porträts den Täter zeigt. Die übrigen Spieler schlüpfen in die Rolle der Ermittler und stellen anhand zufällig gezogener Karten vorgegebene Fragen, die vom Zeugen mit Ja oder Nein beantwortet werden. Im Anschluss müssen die Ermittler mindestens einen, gerne aber auch mehrere Verdächtige ausschließen. Letzteres spart wertvolle Ermittlungszeit, entlässt die Beamten vorzeitig in den Feierabend und ist somit gern gesehene Übung. Doch Obacht: Erklären die Ermittler versehentlich den Täter für unschuldig, so ist die Partie für alle verloren.

Die unüblichen Verdächtigen fordert Deduktion, allerdings nicht anhand harter Fakten. Das Spiel arbeitet mit den Vorurteilen, die das Erscheinungsbild der Verdächtigen hervorruft. Die unüblichen Verdächtigen verlangt von den Spielern also ausdrücklich, dass sie politisch unkorrekt Denken. Die dunkelhäutige Dame mittleren Alters hat Flugangst, denn sie ist ja eh immer hysterisch. Der Rocker hat natürlich kein Smartphone, weil die bei den Kneipenschlägereien so leicht kaputt gehen. Und der wütend dreinblickende Wirrkopf geht zwar nicht joggen, dafür aber gerne spazieren... jedoch leider nur montags.

Mit solch trashigem Humor ist Die unüblichen Verdächtigen ziemlich genial. Es steht und fällt deswegen aber wie kaum ein anderes Spiel mit den Mitspielern, von denen man im Übrigen nicht so viele braucht, wie die Angabe "3 bis 18 Spieler" einen glauben lässt. In kleinerer Runde funktioniert Die unüblichen Verdächtigen bestens, nicht zuletzt weil dann die Wahrscheinlichkeit am geringsten ist, pikiert-politisch korrekte oder übertrieben gehässige Mitspieler am Tisch zu haben. Das Spiel ist insgesamt liebevoll aufgemacht, und so sollte man es auch spielen und verstehen: Mit schmunzelndem Augenzwinkern und als Chance zur heiteren Selbstreflexion. Am schönsten finde ich es übrigens mit dunkelhäutigen heterosexuellen cis-Männern.

Schulnote: 2


Die unüblichen Verdächtigen, Paolo Mori, 3-18 Spieler, Cranio Creations / Heidelberger Spieleverlag

2 Kommentare:

  1. cis-Männer musste ich erstmal googeln.

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  2. Hallo Martin, letztere Rezi's mit Vergabe von Schulnoten finde ich gelungen, kanckig und nachfühlbar. Schulnoten kennt jeder und Freude wie auch Frust über eine 2- oder gar eine 5.
    Sehr gut gemacht...von mir eine 1.
    Gruß
    Marcel aus Berlin

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