Dienstag, 9. November 2010

"Brettspiele sind langweilig."

Folgende Situation kennt, unabhängig vom eigenen Hobby, eigentlich jeder:

Man ist auf einer Geburtstags-, Weihnachts- oder sonstigen Feier und sieht sich plötzlich von Fremden umringt, mit denen man auf einmal ein Gespräch führen soll. Es entstehen zwanghafte Konversationen über das Wetter, und weil dieses Thema recht schnell erschöpft ist, kommt häufig die Frage, "was man denn sonst so mache".

Ich erzähle in solchen Situationen dann ganz offen, dass ich sehr gerne Brettspiele mit Sarah spiele. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Teilweise gibt es mitleidige Blicke á la "weiß der sonst nichts mit seiner Freundin anzufangen?" oder "für ein interessanteres / teureres Hobby hat es wohl nicht gereicht", teilweise geheucheltes Interesse mit schnellem Themenwechsel, gelegentlich auch offene Ablehnung. Ganz selten trifft man auf wirklich interessierte Gesprächspartner, doch im Wesentlichen lautet die herrschende Meinung: "Brettspiele sind langweilig!"

Nun bin ich niemand, der sein Umfeld zwanghaft von seinen Interessen überzeugen muss und meistens finden sich auch schnell andere Gesprächsthemen. Ich muss auch zugeben, dass mich die Hobbies meiner Gesprächspartner (zuletzt zum Beispiel "Gardetanz") oftmals genauso wenig interessieren.

Trotzdem frage ich mich, warum grade das Hobby "Brettspiele"  in meinem Nicht-Spieler-Bekanntenkreis in der Regel als langweilig und unsexy gilt.

Um dieser Frage nachzugehen, ein kleines Gedankenspiel:

Stellen wir uns vor, RTL würde Werner Schulze-Erdel wieder aus seinem Vorruhestand zurückholen und das Familien-Duell fortsetzen:

"100 Leute haben wir gefragt: Nennen Sie ein beliebtes Brettspiel".

Wahrscheinlich ist diese Frage in den 2275 Episoden des Quizshow-Klassikers sogar tatsächlich mal gestellt worden. In Ermangelung eines entsprechenden Frage- und Antwortkataloges müssen wir hier jedoch weiter unsere Vorstellungskraft bemühen. Also, was wären wohl die fünf häufigsten Antworten gewesen? Mein Tipp:

1. "Mensch Ärgere Dich Nicht"
2. "Monopoly"
3. "Schach"
4. "Scrabble"
5. "Das Spiel des Lebens"

Diese Spiele haben die meisten Menschen wohl schon in ihrer Kindheit kennengelernt und mit ihren Eltern, Geschwistern und Freunden gespielt. Irgendwann in der Pubertät spielen dann andere Dinge eine Rolle, mit den eigenen Geschwistern oder Eltern zu spielen ist nicht mehr lustig, sondern uncool und ätzend. So vergehen ein paar Jahre, und plötzlich ist man Erwachsen, hat Kinder, und diese wollen auch spielen. Teilweise aufgrund eines verklärten Blickes in die eigene Kindheit, teilweise aufgrund von Ratlosigkeit wird der eigene Nachwuchs dann mit der Spongebob-Version der Spiele, die man selber schon kennt, ausgestattet. So prägen sich diese Spiele in das kollektive Gedächtnis unserer Gesellschaft ein und werden als "Klassiker" und "typische Brettspiele" wahrgenommen.

Nun, die obigen fünf Beispiele mögen tatsächlich "Klassiker" sein, entsprechen jedoch heute eigentlich nicht mehr dem Bild eines "typischen Brettspieles". Zudem hat jedes unserer Beispiele seine Mängel, die den Spielspass in ungünstigen Situationen schmälern können.

Mensch Ärgere Dich Nicht, Das Spiel des Lebens und auch Monopoly sind mitunter sehr glückslastig. Wer bei Monopoly durch Würfelpech andauernd im Gefängnis oder auf den Hotels der Konkurrenz landet, kann noch so gut spielen, er wird kaum eine Chance haben. Bei Mensch Ärgere Dich nicht können auch schon mal mehrere Züge vergehen, ohne dass man überhaupt das Startfeld verlassen kann, nur um dann, wenn es endlich klappt, direkt wieder durch einen Gegner in selbiges zurückbefördert zu werden. Sicher gibt es grade bei Mensch Ärgere Dich Nicht durchaus auch taktische Möglichkeiten, doch diese fallen im Vergleich zum Würfelglück nur sehr gering ins Gewicht.

Gar keinen Glücksanteil hat Schach. Hier wird nahezu immer der bessere Spieler gewinnen. Unter gleichstarken Spielern kann Schach daher sicherlich sehr interessant sein, trifft jedoch ein erfahrener auf einen unerfahrenen Spieler, haben meist beide wenig Spass daran.

Monopoly, Schach und Scrabble haben ferner das Problem, dass sie oft basierend auf Halbwissen der Regelwerke gelehrt und gespielt werden.

Monopoly ist an sich ein knallhartes Wirtschaftsspiel mit dem Ziel, die Konkurrenz zu eliminieren. Da das aber für einen Familienspieleabend schon ziemlich gemein ist, sind über die Zeit Spielvarianten entstanden, die die Spielerelimination hinauszögern (beispielsweise künstlicher Geldnachschub auf dem Frei-Parken-Feld). Dies läuft aber dem eigentlich Spielziel entgegen, wodurch sich Monopoly zu einem mehrstündigen Endlosspiel entwickelt. Das schlimmste ist, dass diese Varianten dann irgendwann fälschlicherweise für das tatsächliche Regelwerk gehalten werden. Ich behaupte, dass 99 % der gespielten Monopoly-Partien nicht mit den korrekten, vollständigen Regeln gespielt werden. Schach hat ein ähnliches Problem, da die meisten Amateur-Spieler vielleicht die Zugmöglichkeiten der einzelnen Figuren, jedoch selten speziellere Regeln (beispiel "en passant") kennen.

Bei Scrabble hingegen herrscht oft Unklarheit über die erlaubten Begriffe. Gibt es dieses Wort überhaupt? Ist es erlaubt? Das ist doch Englisch, ich dachte wir dürfen nur deutsche Wörter benutzen? Nein, nein, das ist doch eingedeutscht... Soetwas birgt großes Konfliktpotenzial, bis irgendwann jemand einen Duden holt und die Mitspieler oberlehrerhaft zur Räson ruft. Spaß hatte dann meist schon vor einer halben Stunde keiner mehr. Zudem hat auch bei Scrabble derjenige einen Vorteil, der den größeren Wortschatz hat. Hingegen laufen weniger begnadete Rechtschreiber Gefahr, sich zu blamieren. Ein schönes Beispiel hierzu kennen wir aus Episode 2 der ersten Staffel der Simpsons (Bart wird ein Genie). Am Anfang der Episode spielen die Simpsons Scrabble, wobei Lisa mit Ihrem großen Wortschatz auftrumpft, Homer andererseits nicht erkennt, dass er ein Wort legen könnte und Bart Wörter erfindet ("Kwyjibo" - ein dicker, dummer, glatzköpfiger nordamerikanischer Affe ohne Kinn).

Um das klarzustellen: Mein Ansinnen war es hier nicht, unsere Beispiel-Spiele durch den Kakao zu ziehen. Sie haben teilweise auch sicherlich ihre Vorzüge.

Aber: Wenn diese Spiele die einzigen sind, die die Menschen kennen lernen, und es dabei dann jeweils zu den geschilderten Problemen kommt, ist es vollkommen normal, dass diese Personen irgendwann eine abneigende Haltung zu Brettspielen entwickeln. So war es auch bei mir. Ich habe Scrabble gespielt, mein Vater hat das Fremdwörterlexikon herausgeholt. Ich habe Monopoly gespielt, drei Stunden, vier Stunden lang, ohne dass das Spiel ein Ende nahm. Ich habe Schach gespielt, und auf einmal "erfand" mein Gegenspieler neue Regeln und verwandelte Bauern in Damen. Ich habe als kleines Kind bitterlich geweint, weile meine Mutter mich bei Mensch Ärger Dich Nicht kurz vor dem Zieleinlauf rausgeworfen hat.

Insofern ist es schon nachvollziehbar, dass viele von Brettspielen abgeschreckt oder gelangweilt sind. Doch die Brettspielwelt birgt sehr viel mehr als nur Mensch Ärgere Dich Nicht oder Scrabble. Ich hatte irgendwann das Glück und habe ein anderes Spiel kennen lernen dürfen (dazu später mehr) und so hat sich mir in den Jahren eine ganz neue Welt eröffnet. Aus diesem Grund werde ich weiter jedem, der es hören will, von meiner Leidenschaft erzählen. Wenn ich auch nur einem einzigen die Vorurteile nehmen kann und ihn in die wunderbare Welt der Brettspiele einführen könnte, hätte sich die Mühe schon gelohnt.

Okay, das klang jetzt viel missionarischer, als es eigentlich gemeint ist.

Bis dahin, Martin

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