Ich kenne das aus den Abenteuerfilmen meiner Kindheit so: Wenn man auf Schatzsuche ist, dann wird irgendein Expeditionsteilnehmer irgendwann von der Gier übermannt und dann stirbt er oder sie deswegen. Beni hat sich in "Die Mumie" sein eigenes Grab voller Skarabäen geschaufelt, weil er sich zu lange mit Schatzschleppereien aufhielt... Oder Elsa aus dem dritten Indiana Jones-Film: "Ich kann ihn erreichen"... plumps... tot. Was jedoch nie, nie, NIE passierte, ist dass die Hauptrolle, der Held des Filmes, davon in Mitleidenschaft gezogen wurde. Hat Elsa Indiana Jones mit in die Tiefe gerissen? Nein!
Und dennoch sitze ich (der Held) nun hier und wurde von meinen Mitspielern (den gierigen Nebenrollen) ins Verderben gestürzt. Ein unerhörter Vorgang! Ich blinzele meine Mitspieler vollkommen zurecht böse an.
Wir spielen Tiefseeabenteuer. Eine Schatzhatz im Meer, bei der wir über drei Durchgänge einen Pfad von Schatzplättchen hinabtauchen, die wir einsammeln und an die Oberfläche bringen wollen. Das ganze lässt sich als kompetitive Push-Your-Luck-Würfelei beschreiben, weshalb es erst einmal verwundert, dass meine Mitspieler mich überhaupt in die Scheiße reiten können... Normalerweise scheitert in solchen Spielen ja jeder an seiner eigenen Gier und die anderen lachen sich schadenfroh ins Fäustchen. In Tiefseeabenteuer gibt es aber ein wichtiges verbindendes Element: Den gemeinsamen Sauerstoffvorrat, den besonders gierige Spieler leider besonders schnell wegatmen.
Wer am Zug ist, erwürfelt zunächst mit zwei Würfeln - jeweils mit den Werten 1 bis 3 - seine Tauchweite. Der eigene Taucher zieht entsprechend viele freie Felder des Schatzplättchen-Pfades hinab und kann das Plättchen am Zielort einsammeln. Die Schätze bringen Punkte, wenn man es mit ihnen bis zum Durchgangsende zurück zum U-Boot schafft (man muss also irgendwann auch kehrt machen). Dummerweise sind jedoch die Schätze, die zu Beginn des Pfades liegen, bedeutend weniger wert, als die fetten Brocken am Ende. Eingesammelte Plättchen haben zudem zwei Auswirkungen auf meine späteren Züge. Zum einen verbrauche ich zu Beginn meines Zuges so viele Einheiten des gemeinsamen Sauerstoffvorrates, wie ich aktuell Schätze bei mir trage. Zum anderen reduziert jedes meiner Schatzplättchen meine Tauchweite dauerhaft um einen Punkt. Trage ich zwei Plättchen und werfe eine Eins und eine Zwei, so kann ich statt drei Schritten also plötzlich nur noch einen tun. Man sollte sich also weder zu weit in die Tiefe wagen, noch zu viele Schätze aufnehmen, denn wenn man es nicht innerhalb der 25 Team-Sauerstoffeinheiten zurück schafft, muss man die gesammelten Schätze fallen lassen, um sich mit letzter Luft grade noch selber zurück ins Boot zu retten.
Tiefseeabenteuer ist oft unfair und erinnert mich mit seiner Würfelwillkür an längst verdrängte "Mensch Ärgere Dich Nicht"-Partien. Das Spiel ist insgesamt kaum steuerbar. Insbesondere in hoher Spielerzahl muss man die Rückreise zum U-Boot regelmäßig schon antreten, nachdem man grade mal die Zehenspitzen ins Wasser getaucht hat. Zu groß ist die Gefahr, bei einem zu hohen Würfelergebnis durch Überspringen der Mitspieler allzu weit in die Tiefe gespült zu werden. Doch auch aus seichten Gewässern kann man sich mitunter schon nicht mehr befreien, wenn die Würfel es nicht zulassen oder die Mitspieler in einem gemeinen Amok-Tauchgang absichtlich viel Luft wegatmen, weil ihre Situation eh aussichtslos ist... oder weil sie aufgrund eines früheren erfolgreichen Tauchgangs eigentlich nur noch ihre Führung verteidigen müssen.
Tiefseeabenteuer hat damit in vielerlei Hinsicht das Potential zum Schrottspiel. Tatsächlich stören die unfairen Momente aber kaum, sondern sorgen eher für Stimmung am Tisch. Die einzelnen Durchgänge sind so flott gespielt, dass wohl so mancher Apnoetaucher über die gesamte Durchgangsdauer die Luft anhalten könnte. Der knackige Spielablauf hat zur Folge, dass auch schlechte Ergebnisse nicht frustrieren. Stattdessen fühlt man sich von diesem verflixt-charmanten Spiel eher herausgefordert und möchte es beim nächsten Mal halt besser schaffen. Dabei ist die Emotionsdichte verblüffend: Quasi jeder Würfelwurf wird frötzelnd oder anerkennend kommentiert, es wird gehadert und geprahlt. Dass die wertvollen Schätze mit jedem Durchgang immer näher kommen, baut bei den Spielern Spannung und Gier zugleich auf.
Darüber hinaus gibt es viele Details, die mir an Tiefseeabenteuer sehr gefallen. Ich mag die eindrucksvoll-schnörkellos gestaltete Schachtel von der Größe eines fetteren Netzstromteiles, in der sich das Spielmaterial drängelt wie in einem beklemmend engen U-Boot. Ich mag den Titel, der so wunderbar plakativ ist, dass er auch zu einem Computerspiel aus den 80ern gehören könnte: Tiefseeabenteuer... Deep Sea Adventure... Das ist Poesie und braucht auch keinen Untertitel, wie ihn manch deutscher Verlag (P*hüst*ega*hüst*sus) in Form eines "Tauchkampf um die Unterwasserschatzherrschaft" drunter geknallt hätte. Ich mag das dezente, quasi grafikbefreite Spielmaterial, das alleine mit wenigen unterschiedlichen Türkistönen bei mir mehr Unterwasser-Stimmung erzeugt, als etwa der Grafikblender Abyss mit seinem pompös-verpuffenden Artwork.
Vor allem aber mag ich den paradoxerweise erfrischend-herkömmlichen Spielmechanismus, der mir in zwanzig Minuten Gesamtspielzeit mehr bietet, als so manch anderes Spiel mit dreifacher Dauer.
Schulnote: 2 minus
Tiefseeabenteuer, 2-6 Spieler, Jun Sasaki und Goro Sasaki, Oink Games