Mittwoch, 18. Juni 2014

Das Neun-Schritte-Programm zum eigenen erfolgreichen Spiele-Blog

Als Kind habe ich gelernt, dass man nicht mit dem nackten Zeigefinger auf andere Leute deuten soll. Ich verwende seitdem für solche Zwecke nur noch den Mittelfinger. So auch heute wieder. Und natürlich meine ich das alles voll ironisch-augenzwinkernd.... Was ich jetzt nur sage, um mich nicht angreifbar zu machen... Weil ich das eigentlich irgendwie doch so meine. Is klar?


Kartengrafik aus dem
Spiel "CV" von Granna.
Sie haben gehört, dass man mit einem Spieleblog total einfach Gratis-Brettspiele abgreifen kann? Sie wollen nun auch Ihr Stück vom Kuchen abhaben? Sie wollten sich schon immer einmal als großer Experte gerieren? Doch Sie wissen nicht wie? Kein Problem, Ihnen kann geholfen werden! Mit dem idiotensicheren Neun-Schritte-Programm zu Ihrem erfolgreichen Spiele-Blog. Los geht's!

Schritt 1: Die Namensfindung
Zu allererst braucht Ihr Blog natürlich einen Namen. Am besten irgendwas mit „Spiel“... Von Blogs mit „Spiel“ im Titel kann es nämlich nie genug geben. Wenn Sie ganz clever sind, finden Sie vielleicht sogar einen zweideutigen Titel, den Sie dann für den Rest Ihrer Tage bei jeder Gelegenheit erklären dürfen. Noch frei wären etwa www.spielrun.de (also gleichzeitig „Spiel-Run“ und „Spielrunde“! Wow!) oder www.spiele.org.ie (kicher).

Schritt 2: Das Design
Verwenden Sie die nächsten drei bis fünfzehn Wochen darauf, dass ultimative beste Template und Design für Ihre Seite zu finden. Entwerfen Sie Logos, Farbschemata, Briefköpfe und Visitenkarten.

Schritt 3: Die Eigenwerbung
Während Sie auf den Druck Ihrer 10.000 Visitenkarten warten, können Sie bereits damit beginnen, die Welt über Ihr fantastisches neues Blog in Kenntnis zu setzen. Schreiben Sie hierzu andere Blogger an und bitten um Verlinkung. Oder nein, fragen Sie am besten gleich, ob man Ihr Blog nicht in Form eines Vorstellungs-Artikels „featuren“ könnte (verwenden Sie dabei unbedingt das Wort „featuren“!). Ach, das ist Ihnen immer noch nicht genug? Wieso dann nicht gleich den Blogger fragen, ob er nicht Interesse an einer dauerhaften Partnerschaft hätte. Vielleicht ist er von Ihrem neuen Portal auch gleich dermaßen angetan, dass er seine eigene Seite direkt ganz dicht macht, um von nun an nur noch für Sie zu schreiben? Zeigt der angeschriebene Blogger sich hier unkooperativ, so können Sie alternativ auf die Kommentarfunktion seines Blogs ausweichen: Verweisen Sie unter möglichst vielen fremden Beiträgen auf Ihr eigenes (viel besseres) Blog! Zusätzlich bietet es sich außerdem an, in möglichst vielen Spieleforen und Netzwerken über Ihre neue Seite zu informieren. Die hörige Spielerschaft wartet nur darauf, von Ihnen abgeholt zu werden!

Schritt 4: Die Rezensionsexemplare
Nachdem Sie Ihr Blog beim Publikum bekannt gemacht haben, geht es nun an die eigentliche Arbeit… Jawohl, jetzt dürfen Sie so richtig in die Tasten hauen… Wie bitte? Sie wollen nun Content erstellen? Nein, das war nicht gemeint! Wo denken Sie hin? Vielmehr ist es nun an der Zeit, möglichst viele Spieleverlage und Vertriebe anzuschreiben, um Rezensionsexemplare anzufordern. Hierbei gilt: Stellen Sie Ihr Licht bloß nicht unter den Scheffel. Kommunizieren Sie klar Ihren Anspruch und die Relevanz, die Sie bereits jetzt haben. Fordern Sie möglichst hochpreisige Spiele oder alternativ direkt das ganze Verlagsprogramm an. Reagieren Sie angepisst auf Absagen und machen Sie deutlich, dass Sie über die entsprechenden Mittel verfügen, dem Verlag bei Nicht-Zusendung Schaden zuzufügen. Fragen Sie außerdem Ihre neugewonnen Blogger-Freunde aus, wie diese bei der Spiele-Beschaffung vorgehen… oder bitten Sie diese doch gleich um ein Empfehlungsschreiben an die zuständigen Presse-Mitarbeiter.

Schritt 5: Das Wartespiel
Lehnen Sie sich zurück und warten Sie auf die unzähligen Gratis-Spiele, die in den nächsten Tagen bei Ihnen eintrudeln werden. Geben Sie von jetzt an nie wieder einen einzigen Cent für Spielekäufe aus. Entweder Sie erhalten ein Rezensionsexemplar, oder das Spiel existiert für Sie schlicht und ergreifend nicht. Veröffentlichen Sie laufend aktualisierte Meldungen über das Eintreffen der Rezensionsexemplare, um die Spannung bei Ihrer Leserschaft bis ins Unendliche zu steigern.

Schritt 6: Der Testprozess
Machen Sie sich nicht die Mühe, die Ihnen vertrauensvoll überlassenen Spiele tatsächlich mehrfach zu spielen. Das ist viel zu anstrengend und den Aufwand dankt Ihnen eh keiner. Behaupten Sie nach außen hin trotzdem, dass das Spiel „in etlichen Testrunden mit jeder denkbaren Spielerzahl und mit Spielern jeglichen Alters und jeglicher sozialer Herkunft getestet“ wurde (Dies sollte im Übrigen der Einleitungssatz für jede Ihrer Rezensionen sein!). Dass Sie in Wirklichkeit nur eine halbe Partie mit Ihrem zwangsverpflichteten Lebenspartner gespielt haben, brauchen Außenstehende nicht zu wissen. Überprüfen lässt sich so etwas schließlich eh nicht und ein schlechtes Gewissen brauchen Sie dabei schon gar nicht zu haben. Erstens machen das doch alle so, und zweitens reicht bei Ihrem Sachverstand eine halbe Partie vollkommen aus, um das Spiel in allen Facetten erfassen und beurteilen zu können.

Schritt 7: Die Rezension
Einleitend sollten Sie – wie bereits geschildert – unbedingt darauf hinweisen, wie ausgiebig Sie das vorliegende Spiel getestet haben. Ansonsten genügt die Angabe der Eckdaten zu dem Spiel, halten Sie sich hier nicht lange auf!

Der Hauptteil Ihrer Rezension sollte dann im Wesentlichen aus einer möglichst detailgetreuen Regelwiedergabe bestehen, am besten inklusive aller Sonderfälle sowie den Einzelheiten zum Spielaufbau (Wie sollten Sie sonst beweisen können, dass Sie das Spiel in vollem Umfang verstanden haben?). Unbedingt vermeiden sollten Sie die Schilderung subjektiver Eindrücke und ausschweifende Darstellungen der Emotions- und Spannungslagen. Der Reiz des Spieles wird meist schon anhand der Regelerläuterung deutlich genug, vermeiden Sie hier also unnötige Wiederholungen. Außerdem absehen sollten Sie von persönlichen Anekdoten und humorvollen Einwürfen. Diese wirken unprofessionell und stören den Lesefluss!

Ihre Rezension schließen Sie mit einem möglichst prägnanten Fazit: Ein knappes „Das Spiel hat uns in allen Runden gut gefallen und wird sicher noch oft auf den Tisch kommen“ wird hier in der Regel vollkommen ausreichen. Alternativ können Sie auch einfach Punkte in mehreren Kategorien und Unterkategorien vergeben, aus denen Sie am Ende einen möglichst genauen Gesamt-Score errechnen. Hierdurch gaukeln Sie Messbarkeit und Objektivität vor. Außerdem ist ein bloßer Zahlenwert weit weniger angreifbar als tatsächliche Argumente. Ob durch Punktwerte oder Allgemeinplätze: Achten Sie in jedem Fall darauf, dass Ihre Kritik nicht allzu negativ ausfällt. Besserwisser mag eh niemand! Zeigen Sie sich stattdessen großzügig und überspielen Sie offensichtliche Mängel des vorliegenden Produktes. Schließlich wollen Sie es sich mit den Verlagen (Ihren Partnern!) ja nicht verscherzen und vor allem Ihre Leserschaft nicht mit allzu negativen Eindrücken verschrecken. Weitere wesentliche Bestandteile Ihres Fazits sollten ferner sein:
  1. Der nochmalige Hinweis auf die unzähligen Testrunden quer durch alle Bevölkerungsschichten

  2. Eine ausschweifende Grußformel, in der Sie sich bei dem Verlag für das bereitgestellte Rezensionsmuster bedanken (hierdurch beseitigen Sie letzte Zweifel an Ihrer Professionalität, da natürlich nur anerkannte Fachjournalisten mit Rezensionsexemplaren bemustert werden!)

  3. Ein oder mehrere Partner-Links zu Online-Händlern, bei denen das vorgestellte Produkt erworben werden kann. Wichtig: Bauen Sie an dieser Stelle Druck auf Ihre Leserschaft auf, das entsprechende Spiel unbedingt über den gelisteten Link zu erwerben und sich somit für die von Ihnen geleistete Arbeit erkenntlich zu zeigen.
Ganz allgemein sollten Sie aber – wie schon für die Testphase – nicht allzu viel zeitlichen Aufwand für die Erstellung Ihrer Rezension betreiben. Unnötige Mehrarbeiten wie etwa das Korrekturlesen Ihres Textes können daher entfallen. Stattdessen sollte es Ihr unbedingtes Ziel sein, Ihre Rezension möglichst zeitnah zu veröffentlichen. Dieses Ziel sollten Sie nichts anderem unterordnen, denn Aktualität und Hype sind das A und O für die erfolgreiche Spiele-Kritik. Grade bei heiß ersehnten Neuerscheinungen ist es von immenser Wichtigkeit, dass Sie als allerallererster eine Rezension vorweisen können. Alles andere ist zweitrangig.

Schritt 8: Die Verbreitung
Die Zeit, die Sie beim Testen und bei der Erstellung der Rezension gespart haben, verwenden Sie nun auf den wichtigsten aller Schritte: Die allumfängliche Verbreitung Ihrer Rezension über jedes denkbare Netzwerk. Egal ob in Fach-Datenbanken wie www.boardgamegeek.com und www.luding.org oder über die allgemeinen Kanäle wie Twitter, Facebook und Schüler-VZ… Wer nicht überall vertreten ist, existiert auch nicht! Doch damit ist es noch nicht getan! Um Leser zu erreichen, die sich hartnäckig weigern, Ihnen in sozialen Netzwerken zu folgen, sollten Sie außerdem regelmäßig in den einschlägigen Fach-Foren wie www.spielbox.de oder www.unknowns.de über Ihre neuesten Werke informieren. Durchsuchen Sie diese Foren außerdem gezielt nach Beiträgen unbedarfter Nutzer, die nach Einschätzungen zu einem bestimmten Spiel oder allgemeinen Empfehlungen fragen, und posten Sie dort einen Link auf Ihre Rezension. Einfacher kann man Klick-Vieh nicht einfangen! Und auch die Seiten anderer Rezensenten bieten sich wunderbar an, um für die eigene Sache Werbung zu machen. Verweisen Sie in den Kommentaren zur Fremdrezension einfach auf Ihre eigene Kritik. Für solche Kommentare sind alle dankbar. Immer.

Schritt 9: Alles Weitere
Herzlichen Glückwunsch. Sie haben die ersten Schritte zu Ihrem ganz eigenen erfolgreichen Spiele-Blog souverän gemeistert. Von nun an sollte sich das Ganze schnell zum Selbstläufer entwickeln. Zum Abschluss erhalten Sie nun noch ein paar allgemeine Hinweise für Ihren weiteren Weg:
  • Reagieren Sie möglichst angepisst auf negatives Feedback.

  • Interpretieren Sie Allgemeinplätze der PR-Abteilungen als positives Feedback und präsentieren dieses an prominenter Stelle auf Ihrer Website

  • Geben Sie sich geheimnisvoll und erzählen Sie möglichst niemals etwas Persönliches. Für solch einen Spökes ist ein Blog nun wirklich die falsche Plattform. Statt der „Ich-Form“ schreiben Sie im anonymeren „Wir“ oder sprechen von „der Redaktion“. Hierdurch erzeugen Sie den Eindruck eines mächtigen Test- und Redaktions-Apparates. Wir von der SpielErLeben-Redaktion machen das auch so, obwohl wir in Wirklichkeit nur eine traurige One-Man-Show sind.

  • Besuchen Sie Spiele-Messen und ähnliche Veranstaltungen, um den Verlegern dort möglichst resolut Ihr unschlagbares Blog-Konzept zu verkaufen. Schließlich können die Verleger da kaum von ihren eigenen Ständen weglaufen und müssen Ihnen also zuhören. Außerdem haben Verleger auf Spieleveranstaltungen wirklich überhaupt nichts Besseres zu tun, als sich mit bettelnden Spiele-Bloggern auseinander zu setzen. Scheuen Sie sich daher nicht, laufende Spiele-Erklärungen oder Verkaufsgespräche zu unterbrechen. Der Pöbel kann warten, Sie gehen vor, soviel sollte klar sein. Dies ist außerdem die perfekte Gelegenheit, um alle in Hörweite über Ihre grandiose Arbeit in Kenntnis zu setzen. Und dann hatten Sie ja auch noch die 10.000 Visitenkarten… die verteilen Sie jetzt einfach oder lassen sie voll Guerilla-mäßig an diversen strategisch wichtigen Punkten liegen... Das T-Shirt mit Ihrem Logo tragen Sie mit stolzgeschwellter Brust, notfalls auch drei Tage am Stück. Achja, und fordern Sie unbedingt im Vorlauf zur Spieleveranstaltung auf Ihrem Blog alle Leser auf, Sie in der Öffentlichkeit mit dem Ihnen gebührenden Respekt zu begrüßen (zum Beispiel mit einem High-Five… voll albern).

Nun aber ran. Wieso lesen Sie immer noch? Sie verlieren wertvolle Zeit!



So, und jetzt nochmal zur Klarstellung: Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass es immer mehr neue Blogs und sonstigen Seiten gibt, die sich mit Brettspielen befassen. Ich finde das sogar richtig toll. Leute, wenn ihr irgendwas zu erzählen habt, macht ein Blog auf! Das ist total cool und macht Spaß. Aber: Bitte geht den Leuten damit nicht auf die Nerven. Wartet, bis die Sache von alleine wächst. Drängt Euch nicht auf, sondern liefert erstmal ab! Wenn die erste Frage eines neuen Bloggers an mich ist, wie das mit den Rezensionsexemplaren eigentlich genau funktioniert, dann frage ich mich ernsthaft, was denn die eigentliche Motivation für die Arbeit an einem Blog ist. Ist es der angestrebte Austausch über das heißgeliebte Hobby? Oder doch nur eine wohlgefällige Möglichkeit, die eigene Spielesammlung aufzustocken? Heuchler braucht keiner und die Position für Selbstdarsteller ist bereits vergeben (an mich).

In diesem Sinne... und so.

14 Kommentare:

  1. Und was hast du so gespielt die Woche? :D

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    1. 204 x Caverna
      74 x Relic Runners
      63 x Lewis & Clark

      ...jeweils in allen denkbaren unterschiedlichen Spielerzahlen mit Mitspielern jeglichen Alters und jeglicher sozialer Herkunft.

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    2. Vor allem der Nachsatz ist herrlich! :D

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  2. PS.: Eines haste noch vergessen: Bei Spielemesse sollte man ja nicht vergessen die Pressekarte gut sichtbar um den Hals zu tragen - der Status sollte ja schließlich allgemeine Aufmerksamkeit erhalten können!

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  3. Schön geschrieben, hab den Post mit einem fetten Grinsen gelesen.Btw könntest du bitte meinen neuen Blog spielebettl.er bei dir featuren ;) Oh Gott bin ich kreativ, dass ist definitiv genug für ein, zwei dilettanitische Rezessionen, damit sich alsbald strömeweise Gratisspiele über mich ergießen und mich alle denkbaren Brettspieler jeglichen Alters und sozialer Herkunft lieben.
    In diesem Sinne, weiter so!
    Gruß
    Johannes

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  4. hallo,

    danke für die tips. ich wollte aber nochmal fragen wie das mit den rezensionsexemplaren genau funktioniert. bin für jede hilfe dankbar!

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  5. Yes! Ich glaube wir haben eine tolle Zukunft vor uns!
    -die Redaktion

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  6. Na toll, jetzt haben wir mir den GANZEN Artikel durchgelesen und wissen immer noch nicht, wie wir an Rezensionsspiele ran kommen. Nimm' deinen Job mal ernst. Ich brauche noch dieses Caverna, von dem alle Sprechen. Wir können vor diesem Artikel nur warnen!

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  7. Habe ich das jetzt richtig verstanden? Verteilst DU die Rezensionsexemplare?

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  8. Hast du hier von deinem eigenen Werdegang geschrieben, SPIELE-rleben? Es gibt ja schon frappierende Parallelen ...

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  9. Hey Martin, nichts gegen mein tolles T-Shirt! Gruß, Dirk

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  10. Toll, ich habe mich weggeschmissen vor Lachen - einfach herrlich.

    Ja, manchmal ist die Frage angebracht, welche Motivation Menschen haben bestimmte Dinge zu tun!

    Klasse Beitrag. :)

    Beste Grüße

    Rodja

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